„Knives Out“ und „Glass Onion“ sind ein Pendantbild in Sachen Ockhams Rasiermesser. Ein paar Gedanken zu Komplexität.
Vereinfacht ausgedrückt besagt Ockhams Rasiermesser, bei dem es sich um eine wissenschaftstheoretische Aussage handelt, Folgendes: Um einen Sachverhalt zu erklären, ist jeweils die einfachste Hypothese mit den wenigsten Variablen zu bevorzugen.
Krimis und vor allem Whodunnits werden in der Regel so geschrieben, dass einfache Erklärungen schnell ausgeschlossen werden, während immer kompliziertere Zusammenhänge und Erklärungen aufgefahren werden, um die Leser:innen zu überraschen.
Solche Bücher und Filme folgen also dem Gegenteil von Ockhams Empfehlung. Das ist auch bei „Knives Out“ der Fall, was zu Benoit Blancs verwirrender Erklärung des Problems führt: Er sagt, der Fall sei ein Donut, da außen alles klar sei, in der Mitte aber das Entscheidende fehle. Als er dann so etwas wie ein Mittelstück findet, stellt er fest, dass dieses seinerseits ein Donut mit einem fehlenden Mittelstück ist und eine Erklärung schuldig bleibe.
Ockhams Rasiermesser in „Glass Onion“ – Spoiler
Kurz: Im Inneren von etwas scheinbar Einfachem steckt etwas Komplizierteres, in welchem noch etwas Komplizierteres steckt: Im scheinbaren Selbstmord steckt ein Unfall, steckt ein Mordversuch, stecken Erpressung, Mord und Brandstiftung, steckt ein Selbstmord.
Bei „Glass Onion“ ist es genau umgekehrt: Benoit Blanc identifiziert den Fall als besagte Glaszwiebel, die – wie er sagt – scheinbar viele Schichten habe, wegen ihrer Durchsichtigkeit aber ihren Kern nicht verberge. Der Fall „GlassOnion“ ist glasklar.
Während also für „Knives Out“ Ockhams Rasiermesser – wie das bei solcher Kriminalliteratur häufig ist – nicht gilt und Kompliziertes mit Komplizierterem überboten wird, um zu überraschen, müssen die Ermittler im Fall „Glass Onion“ das Prinzip Einfachheit verfolgen. Obwohl nämlich alles immens kompliziert erscheint, muss man nur solange alles im Sinne von Ockhams Rasiermesser wegschneiden, bis man zur einfachsten Erklärung kommt: einer nämlich, die so einfach ist, dass man es kaum glauben will.
Das führt natürlich dazu, dass „Glass Onion“ als Kriminalfall etwas enttäuschend ist, weil er eine – dann auch wieder überraschend – einfache Lösung bietet. Dennoch leistet der Film cineastisch und erzählerisch ganze Arbeit.
Und „Glass Onion“ macht ein Statement: Als „Glass Onion – A Knives Out Mystery“ ist der Film in allem das genaue Gegenteil von „Knives Out“. Ein, wie ich eingangs sagte, Pendantbild.